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Die diesjährige Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht des Deutschen Anwaltvereins fand in digitaler Form zum Thema „Versammlungsrecht/Polizei- und Ordnungsrecht“ statt.

Es haben sich wieder äußerst kompetente und erfahrene Dozenten gefunden, die den etwa 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern interessante Einblicke, Perspektiven und Erkenntnisse vermitteln konnten. Wie auch sonst konnte die Veranstaltung – mit leichten Einschränkungen – ihrem Anspruch gerecht werden, einen Austausch zwischen Rechtsanwaltschaft und Judikative, Exekutive sowie der Wissenschaft zu fördern.

Der erste Vortrag nach der Begrüßung durch Herrn Dr. Michael Oerder, Lenz und Johlen Rechtsanwälte, stammte von Prof. Tristan Barczak, Universität Passau, zum Versammlungsrecht. Prof. Barczak stellte die verfassungsrechtlichen Grundzüge des Versammlungsrechts dar und verband die Ausführungen mit aktuellen Fragestellungen und neuen Entwicklungen in diesem Bereich, wie sie durch Versammlungen während des G20-Gipfels, im Hambacher Forst, von „Pegida“ oder gegen die Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie aufgeworfen wurden. So stellte Prof. Barczak beispielsweise heraus, dass der Schutzbereich des Versammlungsgrundrechts keinen Rechtsnormdispens beinhaltet, mithin etwa die Vorschriften zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes auch während einer Versammlung gelten und die Schulpflicht der schulpflichtigen Fridays-for-Future-Teilnehmer nicht entfällt. Schließlich erläuterte Prof. Barczak den Eilrechtsschutz vor dem Bundesverfassungsgericht, der ihm aus seiner Tätigkeit am Bundesverfassungsgericht aus eigener Anschauung bekannt ist. Die Teilnehmer konnten parallel Fragen an Prof. Barczak stellen, wovon reger Gebrauch gemacht wurde. Breit erörtert wurde in der durch Prof. Dr. Thomas Mayen, Dolde Mayen & Partner Rechtsanwälte, moderierten Diskussion die Pflicht von Privaten, eine Versammlung auf eigenen Flächen zu dulden, wenn sie dort ein öffentliches Forum eröffnet haben, wie dies etwa in Einkaufszentren und Fußballstadien der Fall sein kann.

Den zweiten Vortrag hielt Frau Leitende Regierungsdirektorin Ines Verhaaren, Polizeipräsidium Dortmund, zum Thema „Öffentliche Ordnung in rechtsextremistischen Versammlungen“. Frau Verhaaren gab eine praxisnahe Einordnung, die die Besonderheiten rechtsextremer Versammlungen etwa durch das Verwenden vieler gleichartiger Flaggen, das Vorantragen eines Banners und das Laufen in Formationen sowie die Verwendung von Fackeln und Pyrotechnik in den Abendstunden. Aus Sicht der Polizei werden durch die hohen Anforderungen der Rechtsprechung an Auflagen für oder Verbote von Versammlungen enorme Herausforderungen an die polizeiliche Praxis gestellt, was dazu führt, dass Versammlungen auch mit einem erheblichen Einschüchterungspotenzial stattfinden. Insoweit besteht aus Sicht der Referentin ein Bedarf, den Begriff der „öffentlichen Ordnung“ zum Schutz der Demokratie weiter zu konturieren und das Überschreiten roter Linien so zu verhindern.

Im Anschluss an die Mittagspause, die aufgrund des digitalen Formats ohne den üblichen Austausch auskommen musste, trug Dr. Daniel Thal, Baumeister Rechtsanwälte, zu aktuellen Entwicklungen im Versammlungsrecht vor. Schwerpunkte des Vortrags bildeten die Versammlungsfreiheit in der „Corona-Krise“ sowie das verwaltungsprozessuale Klageerzwingungsverfahren. In einer ausführlichen und kritischen Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Versammlungen während der „Corona-Krise“ betont Dr. Thal auch, dass insgesamt die Verwaltungsgerichte nach seiner Beobachtung ihrem Rechtsschutzauftrag in dieser Situation in bemerkenswerter Weise nachgekommen sind, stimmt aber mit Frau Verhaaren darin überein, dass die Anforderungen der Rechtsprechung im Hinblick auf die in der Praxis zur Verfügung stehenden Zeit für die Prüfung von Auflagen für eine Versammlung praxisfern bzw. kaum erfüllbar sind.

Nach diesen drei Vorträgen aus Wissenschaft und polizeilicher sowie anwaltlicher Praxis zum Rechtsgebiet des Versammlungsrechts trug RA Wilhelm Achelpöhler, Meisterernst Düsing Manstetten Rechtsanwälte, zu aktuellen Entwicklungen im Polizei- und Ordnungsrecht vor. Herr Achelpöhler führte dabei ein in die Gefahrenbegriffe des Polizeirechts, die Grenzen zum Strafrecht und die wieder oder weiterhin aktuelle Diskussion zum Schlagwort des Feindstrafrechts. Es schloss sich eine Erörterung verschiedener polizeirechtlicher Eingriffsbefugnisse und ihrer Voraussetzungen ein, wobei Herr Achelpöhler die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen bzw. Grenzen in den Blick nahm und die betrachteten Normen des Polizeigesetzes kritisch würdigte. Die Diskussionsbeiträge zeigten, wie schwierig und konfliktträchtig die behandelten Fragestellungen im Bereich zwischen Freiheit und Sicherheit sind.

Der letzte Beitrag des Tages stammte von Prof. Dr. Alexander Kyrill-Schwarz, Universität Würzburg, zum Thema „Ausweitung des polizeilichen Gefahrenbegriffs – Neue Rechtsprechung zum Polizei- und Ordnungsrecht“. Anhand eines Praxisbeispiels ging Prof. Kyrill-Schwarz der Frage nach, ob der Begriff der „drohenden Gefahr“ Ausdruck eines geänderten Polizeirechtsverständnisses darstellt. Prof. Kyrill-Schwarz betont die Notwendigkeit der Freiheitssicherung durch Freiheitsbeschränkung und verweist unter anderem auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach der Gesetzgeber befugt ist, die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs mit dem Ziel der Sraftatverhütung reduziert werden könne. Zentraler Unterschied zwischen der drohenden Gefahr und der (klassischen) konkreten Gefahr seien die Anforderungen an den Kausalverlauf, der nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bestimmt werden könne. Gegenüber dem Gefahrenverdacht, der nur eine Gefahrerforschung rechtfertigt, erlaubt die drohende Gefahr eine wesentlich höhere Eingriffsintensität. Zusammenfassend hält Prof. Kyrill-Schwarz fest, dass das Bundesverfassungsgericht die drohende Gefahr in Bezug auf den internationalen Terrorismus entwickelt und sie mittlerweile normative Realität sei. Nicht ausgeschlossen sei auch, dass die Gesetzgeber weitere polizeiliche Befugnisse in das Gefahrenvorfeld verlagerten.

Die Arbeitsgemeinschaft strebt an, sobald wie möglich zu Präsenzveranstaltungen zurückzukehren, muss dies jedoch selbstverständlich von der allgemeinen Entwicklung abhängig machen. Informationen finden Sie auf der Webseite der Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht.

Ihr Ansprechpartner:

michael oerder gr

Dr. Michael Oerder
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Verwaltungsrecht NRW im Deutschen AnwaltVerein
Telefon: 0221-973002-73
E-Mail: m.oerder[at]lenz-johlen.de

Verfasser dieses Beitrages:

hagemann

Mats Hagemann
Rechtsanwalt
Telefon: 0221-973002-54
E-Mail: m.hagemann[at]lenz-johlen.de

 

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