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Keine europaweite Ausschreibung bei Übernahme des Betriebsrisikos In seinem Urteil vom 10.09.2009 (Rs. C-206/08) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass ein Vertrag über Dienstleistungen (hier: Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung) nicht in einem förmlichen Vergabeverfahren ausgeschrieben werden muss, wenn das Betriebsrisiko zumindest zu einem erheblichen Umfang von dem Auftragnehmer übernommen wird. Dies gilt auch dann, wenn das Betriebsrisiko aufgrund der öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung der Dienstleistung von vornherein erheblich eingeschränkt ist.


Das Urteil des EuGH erging auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Thüringer Oberlandesgerichts (Thüringer OLG). Dem Verfahren vor dem Thüringer OLG lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Ein Wasser- und Abwasserzweckverband vergab eine Konzession für die Trinkwasserversorgung und die Abwasserbeseitigung in einem nicht förmlichen Vergabeverfahren. Die Vergabebekanntmachung und die zugehörigen Vertragsentwürfe sahen vor, dass der Konzessionär die genannten Leistungen auf der Grundlage privatrechtlicher Verträge in eigenem Namen und auf eigene Rechnung gegenüber den im Verbandsgebiet ansässigen Nutzern erbringt und hierfür von den jeweiligen Nutzern ein entsprechendes Entgelt erhält. Der Konzessionär sollte das Recht haben, die Entgelte für die geleisteten Dienste nach billigem Ermessen selbst zu bestimmen und alleinverantwortlich festzusetzen. Diese Befugnis war insoweit eingeschränkt, als bis zum 31.12.2009 die bisher gültigen Entgelte zu erheben waren und danach die Entgelte den Vorgaben des Kommunalabgabengesetzes entsprechen mussten. Die Vergabebekanntmachung und die zugehörigen Vertragsentwürfe sahen weiter vor, dass die technischen Anlagen zur Wasserversorgung und zur Abwasserbeseitigung im Eigentum des Wasser- und Abwasserzweckverbandes verbleiben und an den Konzessionär verpachtet werden, wobei Letzterer den Pachtzins bei der Berechnung des von den Nutzern erhobenen Entgelts für die Dienstleistungen berücksichtigen darf. Die Instandhaltung der Anlagen oblag dem Konzessionär.
Der Wasser- und Abwasserzweckverband verpflichtete sich, im Wege einer Satzung einen Anschluss- und Benutzungszwang an das System der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung zu regeln. Der Konzessionär hatte jedoch keinen Anspruch darauf, dass dieser Zwang in jedem Einzelfall auch vollzogen wird. Schließlich verpflichtete sich der Wasser- und Abwasserzweckverband, von ihm empfangene öffentliche Zuwendungen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten an den Konzessionär weiterzuleiten.
Die Aufbereitungs- und Entsorgungsgesellschaft E. rügte, dass die Dienstleistungen nicht im Rahmen einer förmlichen Ausschreibung eines Dienstleistungsauftrags, sondern im Wege einer Dienstleistungskonzession vergeben werden sollten. In dem von der Aufbereitungs- und Entsorgungsgesellschaft E. angestrengten Nachprüfungsverfahren schloss sich die Vergabekammer dieser Auffassung an und entschied infolge dessen, dass ein förmliches Vergabeverfahren hätte durchgeführt werden müssen, weshalb das Verfahren in den Stand vor der Vergabebekanntmachung zurückzuversetzen sei.
Gegen den Beschluss der Vergabekammer erhob der Wasser- und Abwasserzweckverband Beschwerde vor dem Thüringer OLG.


Das Thüringer OLG hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist ein Vertrag über Dienstleistungen (hier über Leistungen der Wasserversorgung und Abwasserbehandlung), nach dessen Inhalt eine unmittelbare Entgeltzahlung des öffentlichen Auftraggebers an den Auftragnehmer nicht erfolgt, sondern der Auftragnehmer das Recht erhält, privatrechtliche Entgelte von Dritten zu erheben, allein aus diesem Grund als Dienstleistungskonzession im Sinne des Art. 1 Abs. 3 Buchst. B der Richtlinie 2004/17 – in Abgrenzung zum entgeltlichen Dienstleistungsvertrag im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und d der Richtlinie – einzuordnen?
2. Falls die erste Vorlagefrage mit nein zu beantworten ist, liegt bei Verträgen der in der ersten Vorlagefrage beschriebenen Art eine Dienstleistungskonzession vor, wenn das mit der fraglichen Dienstleistung auf Grund ihrer öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung (Anschluss- und Benutzungszwang; Preiskalkulation nach dem Kostendeckungsprinzip) verbundene Betriebsrisiko von vornherein, also auch dann, wenn der öffentliche Auftraggeber die Leistung selbst erbringen würde, zwar erheblich eingeschränkt ist, der Auftragnehmer aber dieses eingeschränkte Risiko in vollem Umfang oder zumindest ganz überwiegend übernimmt?
3. Falls auch die zweite Vorlagefrage verneint wird, ist Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie dahin auszulegen, dass das mit der Erbringung der Leistung verbundene Betriebsrisiko, insbesondere das Absatzrisiko, qualitativ demjenigen nahe kommen muss, das üblicherweise unter den Bedingungen eines freien Marktes mit mehreren konkurrierenden Anbietern besteht?


Der EuGH hat zu den beiden ersten Fragen folgende Ausführungen gemacht:
Aus dem Vergleich der Definition des Dienstleistungsauftrags und der Dienstleistungskonzession gehe hervor, dass der Unterschied zwischen einem Dienstleistungsauftrag und einer Dienstleistungskonzession in der Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen liege. Der Dienstleistungsauftrag umfasse eine Gegenleistung, die vom öffentlichen Auftraggeber unmittelbar an den Dienstleistungserbringer gezahlt werde, während im Fall einer Dienstleistungskonzession die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung bestehe, sei es ohne oder zuzüglich der Zahlung eines Preises.
Eine unmittelbare Entgeltzahlung ist in dem vorliegenden Fall nicht vorgesehen. Vielmehr sollte der Auftragnehmer vom Auftraggeber das Recht erhalten, privatrechtliche Entgelte von Dritten zu erheben.
Nach Auffassung des EuGH ist die wirtschaftliche Nutzung der Dienstleistung mit dem wirtschaftlichen Risiko verbunden. Dem zufolge sei ein förmliches Vergabeverfahren durchzuführen, wenn der Auftraggeber weiterhin das volle Risiko trage und der Dienstleistungserbringer nicht den Risiken des Marktes ausgesetzt sei. Dies entspricht schon der bisherigen Rechtsprechung des EuGH.
Im Folgenden war dann der Frage nachzugehen, ob nur dann eine Dienstleistungskonzession vorliegt, wenn es sich bei dem auf den Konzessionär übertragenen Risiko um ein erhebliches Risiko handelt. Dem ist der EuGH in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt.
Für den Bereich der Daseinsvorsorge, zu dem auch die Wasserversorgung und die Abwasserbeseitigung gehören, sei es üblich, dass die wirtschaftlichen Risiken durch das Gesetz begrenzt seien. Ein höheres Risiko könne der öffentliche Auftraggeber dem Konzessionär auch nicht übertragen. Liegt nur ein solches eingeschränktes Risiko vor, so sei es jedenfalls für die Annahme einer Dienstleistungskonzession erforderlich, dass der öffentliche Auftraggeber (hier also der Wasser- und Abwasserzweckverband) das volle Betriebsrisiko oder zumindest einen wesentlichen Teil davon auf den Auftragenehmer übertrage. Ob im vorliegenden Einzelfall das volle Risiko oder ein wesentlicher Teil des Risikos des Wasser- und Abwasserzweckverbandes übertragen worden sei, hat nun das Thüringer OLG zu entscheiden. Dr. Inga Schwertner
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Verwaltungsrecht

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